unterscheiden


Achim Wollscheid, Frankfurt a. M., 2010


Was ich sehe, sehe ich deshalb, weil es einen Unterschied macht – das ist die klassische These der Wahrnehmungstheorie. Etwas bewegt sich, der Rest ist unbewegt, in Ungeordnetem erkenne ich plötzlich eine Struktur, zwischen Kreisen erscheint ein Würfel...

Grundmuster dieser Idee ist die Welt als Tableau, eine Welt die übersichtlich ist, geordnet in Nebeneinander, in Vorder- und Hintergrund. Differenzen, Unterschiede ergeben sich aufgrund der Tatsache, dass ich dieses Tableau übersehe, oder zumindest einen relevanten Ausschnitt und anhand des Vergleichs z.B. zwischen etwas Bewegtem im Vorder- und der Statik des Hintergrunds eine relevante Differenz erkenne, die verglichen mit bereits gespeicherten Differenz-Mustern die Information ergeben: da läuft der Hase.
 
Die privilegierte Beobachter-Position, die uns erlaubte ruhig vor einem Tableau zu stehen oder zu sitzen, scheint unter den momentan gegebenen Bedingungen nur noch hypothetisch einnehmbar – dies vor allem deshalb, weil das Tableau sich aufgefächert hat. Keineswegs mehr übersichtlich ist es ein unregelmäßiges Kommen und Gehen unterschiedlicher Differenzen, in die – das machte den  postmodernen Unterschied – Bilder Einzug gehalten haben. Mehr noch (oder weniger), es sind Bilder von Bildern, Reihen oder Sequenzen von Verweisen, Ähnlichkeiten oder kurzfristigen Referenzen. Ein Bild von was? Einem Bild, wahrscheinlich. Das wiederum ein Bild bebildert? Möglicherweise. Immerhin hatte das von der Postmoderne attestierte Eigenleben der Signifikanten den beruhigenden Aspekt, dass sich Zeichen und Bezeichnetes nicht mehr in die Quere kamen.

Auf diese Beruhigung müssen wir nun lernen zu verzichten. Denn es zeigt sich, dass wie auch immer abgelöst vom Bezeichneten, die Bilder mehr tun als lediglich frei zu flottieren. Als Folge und Begleiterscheinung ihrer Erstellbarkeit in Echtzeit stellt sich die Frage: worauf schaue ich? Ist das, was ich sehe, die Rückkopplung meines User-Profils? (Die Erfüllung eines Kindertraums – die Welt, nur für mich gebaut, wie eine Kulissen-Stadt, die dort gerade gebaut wird wohin ich gehe, und wieder verschwindet, wenn ich fort gegangen bin).

Welche Bilder teile ich mit Anderen? Was heißt teilen? Gibt es eine Betrachter-Position, die ich wähle? Oder ist das, was als Position erscheint, eine Funktion der Bilder? Falls ja, welche Position weisen mir die Bilder zu, wenn ich sehe? Bilder sind Programme und Betrachten, denke ich, heißt sich zu fragen, welches Betrachten und welchen Standpunkt das jeweilige Programm zuweist oder zulässt.