Welt / Raum


Roland Schöny, 2015


Nach Moskau diesmal. Verbunden mit einem Transfer des Blicks entlang der Achsen des Utopischen. Technokratischer Fortschritt und Beschleunigung aber haben sich hier im Staub der Trivialität des Alltäglichen verflüchtigt. Längst haben die letzten Zeichen von Pathos ihren trügerischen Glamour verloren. Ein typisches Phänomen der Implosion, sobald die Vision in die Nähe der Täuschung gerät. Wie ernüchternd doch, wenn bloß noch ein einziges Reales zurückbleibt. Verebbt im Stillstand scheint der Stress, der Gegenwart entkommen zu müssen. Pläne für ein Morgen vielleicht später. Lediglich das Spiel der Geometrie aus einem Baustellen-Absperrband und den Schatten im sandigen Boden mit drei warmroten Ziegelstücken vermitteln die Illusion, als könnte ‚Die Stunde der wahren Empfindung’ noch einmal zurückkehren. Wie beruhigend daher, die anspruchslos da hängenden Vorhänge. An die Weite der Bühne als allegorische Maschine erinnernd ersparen sie das Erschaudern nach der Wiederkehr ins Gewöhnliche.

Letztlich deuten doch augenfällige Hinweise auf den Ort dieser beiden Fotoprojekte von Wolfgang Lehrner hin. Während draußen die politische Geschichte nach ihrem proklamierten Ende sich dennoch dramatisch zuspitzt, erzählen hier zwei unterschiedliche Superzeichen in einem Surrounding mehrerer Architektur- und Designelemente von bedeutenden welthistorischen Aufbrüchen und zugleich ihrem Erliegen nach der goldenen Ära der Stagnation. Der steinerne Kopf einer Lenin-Statue oder -büste abgestellt am Rand einer Halle mit dem sichtbarem Teil eines Trägerelements versehen mit den Insignien des Sowjet-Sozialismus; und zum anderen die Spiegelung einer Wostock Rakete in den Scheiben eines funktionalistischen Ausstellungsgebäudes. Schauplatz ist einer der populärsten Freizeitparks in Moskau.

Der explorativ arbeitende Künstler Wolfgang Lehrner, der bereits zahlreiche Städte des postsozialistischen Südosteuropa bereist hat, um mit der Fotokamera urbanen Identitätsbildungen in der Nähe allgemeiner Vorstellungen von städtischer Peripherie nachzugehen, setzte seine Recherchen nun in Moskau fort. Hier fragte er – umgekehrt – nach den Überresten signifikanter Zeichen des Aufbruchs und begab sich dabei auf das Terrain des VDNKh des ehemaligen Ausstellungsparks der Errungenschaften der Volkswirtschaft (Выставка достижений народного хозяйства). In dieser Mischung aus Fun Park, Versailles Imitation und Messegelände wurde ab 1939 in mehreren Pavillons im Stil des sozialistischen Klassizismus der technische Fortschritt der UdSSR von Landwirtschaft bis Raumfahrt in wechselnden Phasen als Schauerlebnis für die ganze Familie inszeniert.

Mittlerweile wirken die meisten der nach 1989 sukzessive ausgeräumten Gebäude im Inneren wie Lagerhallen und werden nur temporär genutzt. Was zurückblieb, ist deren gewaltige Dimension und eine weiterhin erhaltene Raumfahrtausstellung am Rande. Anhand nur weniger Zeichen entrollt Wolfgang Lehrner das enorme Bedeutungsrepertoire des Ortes und deren geschichtsmächtige Signifikanz. Bis heute haben sowjetische Astronauten und die Hündin Laika Pop-Star Charakter. Während der erste Sputnikflug in den Weltraum 1957, den Überlegenheitsanspruch der Westmächte radikal in Frage stellte, setzte die Reformpolitik Chruschtovs nach 1956 zahlreiche Initiativen zur Ankurbelung des Fortschritts, was internationale Ausstellungen auf dem weitflächigen Gelände des VDNKh zur Folge hatte. Der Hunger auf stürmische Erneuerung wie in den ersten Minuten des Sozialismus aber teilte sich nicht mehr mit. Wie beiläufig erzählen die visuellen Konzentrate des Wolfgang Lehrner von den Spuren nicht mehr vorstellbarer Weite.